Als die Lichter ausgingen: Grossstörung im Appenzellerland
Als die Lichter ausgingen: Grossstörung im Appenzellerland
So etwas habe er noch nie erlebt, sagte SAK Direktor Theo Wipf gemäss der SAK Hus Zitig 4/95 nach der Grossstörung vom 10. Februar 1995. Damals war Theo Wipf immerhin schon 23 Jahre bei der SAK tätig, und nur wenige Jahre zuvor hatte der Sturm Vivian gewütet. Was war passiert? Um 16.04 Uhr, kurz vor dem Start ins Wochenende, fiel in den Büros der SAK der Strom für einen Augenblick aus. Die PC's stürzten ab und mussten neu aufgestartet werden, was aber weiter noch keine Unruhe auslöste.
Dann jedoch setzte bei der Telefonistin eine Flut von Anrufen ein, die überwiegend aus Herisau kamen. Eine Frau bangte um den Gugelhopf, den sie soeben ins Backrohr gestellt hatte, bei einem Chemiker wurde ein wichtiges Experiment unterbrochen, und ein Spital erkundigte sich nach der voraussichtlichen Dauer des Unterbruchs. Nach zwölf Minuten setzte der Strom wieder ein. Verursacht worden war die Störung durch einen Kurzschluss im 50-kV-Netz, die Unterwerke Herisau, Urnäsch und Appenzell hatten keinen Strom mehr. Der erste Ausfall beschränkte sich auf zwölf Minuten.
Schalter zerstört
Mit der Wiedereinschaltung der drei Unterwerke schien die Störung behoben. «Leider war dem aber nicht so», heisst es in der SAK Hus Zitig weiter, «denn am gleichen Tag, um 20.16 Uhr (…) kam es im Raum Herisau-Urnäsch-Appenzell und in weiten Teilen der Stadt St.Gallen erneut zu einem Stromausfall». Später stellte sich heraus, dass der bei der ersten Störung am Nachmittag von einem Kurzschluss betroffene Schalter die Störung nicht schadlos überstanden hatte. Der neuerliche Stromunterbruch dauerte in der Stadt St.Gallen etwa 15 Minuten, in den übrigen Gebieten wesentlich länger. Eine kurzfristige Umschaltung war nicht möglich, weil einerseits der Schalter der Leitung Winkeln-Herisau zerstört, andererseits die Leitung Gais-Appenzell wegen Umisolierungsarbeiten ausser Betrieb war. «Zur Entstörung mussten deshalb die stromlosen Gebiete von den umliegenden Unterwerken Gossau, Kubel, Speicher, Hoffeld und Wattwil her wieder aufgebaut werden.» Trotz hohem Einsatz der Leitungsbauequipen dauerte es schliesslich bis 00.30 Uhr, «bis mit Appenzell die Stromversorgung im gesamten Versorgungsgebiet der SAK wieder hergestellt werden konnte».
Funkstille beim Radio?
Auch die Handelszeitung befasste sich, in einem Werbeartikel für Notstromanlagen, mit der Störung in der Ostschweiz. Wer während des Stromausfalls versucht habe, mit dem Transistorradio Informationen vom Lokalradio zu erfahren, sei enttäuscht worden. «Auf der Frequenz 92.2, auf der sonst Radio Aktuell zu hören ist, herrscht Funkstille – das Notstromsystem war bei Umbauarbeiten vor drei Jahren unbemerkt abgehängt worden.» Dabei könnte Radio Aktuell bei lokalen Krisensituationen am schnellsten reagieren, meinte die Handelszeitung und fügte mit kritischem Unterton an, Radio DRS habe die Meldung erst am späten Abend gebracht. Doch die Radios hatten ihre Aufgabe offenbar gar nicht so schlecht wahrgenommen. Jedenfalls wies die SAK Hus Zitig in ihrem Rückblick auf die Grossstörung auf die Bedeutung der Medien hin und lobte sie ausdrücklich. Das Lokalradio und das Regionalstudio von Radio DRS hätten die einzige Möglichkeit geboten, «unsere Kunden laufend über den aktuellen Stand der Entstörungsarbeiten zu informieren». Diese Orientierungen seien ausserordentlich wichtig, «denn es ist nicht auszudenken, was für Ängste ein so langer Stromunterbruch bei den Betroffenen ohne Informationen über die Situation auslösen könnte». Der Journalist der Handelszeitung war wohl einfach zu ungeduldig.
Seither sind wir – im Lift, am Computer, an der Ladenkasse etc. – noch viel stärker von der Energie abhängig geworden. In den Anfängen der Elektrizität und auch in den nachfolgenden Jahrzehnten gehörten unfreiwillige Unterbrüche, Spannungsabfälle und Abstellungen beinahe zum Alltag – ohne sofortige Information. «Es gibt Tage, wo die Frauen das Mittagessen nicht fertig bringen und die Beleuchtung immer schwankt. Die Unzufriedenheit ist namentlich auf diese beiden Dinge zurückzuführen», wurde im Kanton Schaffhausen noch 1956 festgestellt. Besser tönte es in der Festschrift der SAK von 1989: «Wenn sich auch gelegentliche Stromunterbrüche als Folge von Revisionen oder Störungen nicht vermeiden lassen, ist doch die Versorgungssicherheit sehr hoch. Diesen Stand gilt es im Interesse des Konsumenten, der die elektrische Energie jederzeit aus der Steckdose abrufen will, weiterhin zu halten. Die steigenden Netzbelastungen lösen neue Ausbauten und Verstärkungen aus.»
Röbi Zingg
Fünf Schnitte pro Jahr und der letzte Storch von Mörschwil
Röbi Zingg war Leiter Netzbau und sorgte mit seinem Team dafür, dass die SAK heute über ein solides Übertragungs- und Versorgungsnetz in der Ostschweiz verfügt. Dafür benötigten er und seine Mitarbeitenden viel Verhandlungsgeschick und ein offenes Ohr, auch für den Vogelschutz.
Röbi Zingg
«Netzbau, insbesondere der Freileitungsbau, funktionierte nicht ohne intensives Verhandeln – mit Landeigentümern, Gemeinden, dem Kanton und Bund. Ich habe dabei viel gelernt. Zu Beginn war ich stürmischer, das legte sich aber schnell. Ich lernte, wie wichtig es war, mit den Parteien früh ins Gespräch zu gehen. Wir hatten eine mögliche Linienführung im Kopf, die wurde aber während einer Verhandlung häufig korrigiert. Manchmal agierten wir etwas ‹schlitzohrig›, präsentierten eine leicht schlechtere Lösung und sagten: ‹Wir könnten noch Änderungen anbringen, aber dazu brauchen wir eure Vorschläge und am Schluss sollten alle einverstanden sein.› Fiel man den Leuten und Instanzen mit fertigen Projekten ins Haus, war man verschossen. Relativ verständnisvoll liefen Verhandlungen mit den Gemeinden. Wir gingen hin und sagten: ‹Ihr wisst, dass ihr in dieser Region mehr Strom braucht. Dafür müssen wir eine Leitung oder eine Trafostation bauen. Wir haben hier einen Projektvorschlag, den wir mit euch besprechen möchten.› Meist grössere Probleme machten ‹Unterländer›, die ein Ferienhaus in der Nähe von projektierten Freileitungen besassen. Unproblematisch reagierten Industrie und Gewerbe. Die örtliche Bevölkerung hatte in der Regel Verständnis, wenn sie nicht direkt betroffen war. Ohne Verhandeln ging aber auch da wenig. Landwirte waren als Grundeigentümer immer direkt beteiligt. Und jeder Bauer hatte natürlich das ertragreichste Land und konnte fünf Schnitte Gras pro Jahr machen. Das machte Gespräche knifflig. Dann liess der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) mit dem Bauernverband durch die Forschungsanstalt Tänikon eine Expertise ausarbeiten, die den Mehraufwand und die Ertragsminderung genau ermittelte. Anschliessend verhandelten wir den Stundensatz. Zwischen dem landwirtschaftlichen Paritätslohn und einem mittleren Stundensatz für Handwerker lag ein grosser Unterschied. Die Bauern argumentierten, dass sie durch den erhöhten Zeitaufwand gewisse handwerkliche Arbeiten nicht mehr selbst ausführen könnten. Heute gibt es klare Regeln. Sie basieren auf den Landwirtschaftszonen, die auch bei der Ermittlung von Subventionen als Grundlage dienen.
Immer wichtiger wurde der Naturschutz und damit das Thema Freileitungen und Vögel. Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern des Vogelschutzes und der Elektrizitätswerke erarbeitete Richtlinien. Dazu brauchte es Studien. Am Hang des St. Galler Gübsensees stehen Freileitungen. Dort zirkulieren Vögel relativ stark. Man behauptete, die Leitungen seien der Grund für zahlreiche tote Vögel. Ich bot den Vogelschützern an, während zweier Monate zwei Mal wöchentlich die Leitungen zu begehen. Wir fanden sehr wenige tote Vögel. Die Vogelschützer argumentierten, es gehe halt nur eine Stunde, bis der Fuchs sie hole. Gemeinsam fanden wir trotzdem heraus, dass gewisse blanke Überführungen auf den Masten für Vögel gefährlich waren. Es wurde auch klar, dass Greifvögel, die beim Wegfliegen üblicherweise einen Kotstrahl absondern, deswegen vom Strom erschlagen werden konnten. Wir entwickelten Vogelschutzbesen, damit sie in der gefährlichen Zone nicht mehr landen konnten, und isolierten die Überführungen.
In Mörschwil existierte lange eine Storchenstation. Der Verantwortliche wollte sie gerade auflösen, es lebten nur noch zwei Störche dort. Wir bauten eine Freileitung und waren mit den Vogelschutzmassnahmen leider zu spät dran. Der letzte Storch kam deswegen ums Leben. Das war traurig. Insgesamt lernten wir aber viel aus der Zusammenarbeit mit dem Vogelschutz und anderen Interessengruppen.»
Röbi Zingg war von 1968 bis 2005 bei der SAK tätig, zuletzt als Leiter Netzbau sowie Geschäftsleitungsmitglied.
Zahlen und Fakten
287
2’325 km2
400’000
2’443 Mio. kWh
7 Kraftwerke
39 Unterwerke
883 Trafostationen
ca. 3’800 km Stromnetz