Ein Jahrhundert-Projekt: Die Spannungsumstellung
Ein Jahrhundert-Projekt: Die Spannungsumstellung
In der Geschichte der SAK gab es nicht nur Jahrhundertereignisse wie zum Beispiel den Sturm Vivian, sondern auch ein Jahrhundertprojekt: Die Spannungsumstellung. Spannungserhöhungen sind notwendig, um die Kapazität der Übertragungsanlagen zu steigern und damit Belastungsengpässe zu eliminieren und unerwünschte Spannungsabfälle bei Netzstörungen zu vermeiden.
Angesichts der grossen jährlichen Zuwachsraten beschlossen die Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK) 1981, ihre Hochspannungsnetz von 50 kV auf 110 kV umzustellen. Dieser Entscheid hatte zur Folge, dass die SAK ihr Mittelspannungsnetz – ab den Unterwerken bis zu den Transformatorenstationen – von 10 auf 20 kV nachrüsten musste, was ebenfalls der Verbesserung der überregionalen Versorgungssicherheit und der (erheblichen) Reduktion der Netzverluste diente. Die erste Spannungsumschaltung fand 1988 im Rheintal statt, wo die Situation im Mittelspannungsnetz besonders kritisch war. 1994 folgte das Appenzeller Mittelland. Eine weitere grosse Etappe wurde 1995 realisiert. Durch diese Tranche, von der die Versorgungsgebiete Herisau, Waldstatt, Schwellbrunn, Wald/St.Peterzell, Schönengrund, Degersheim und Flawil betroffen waren, konnten die Übertragungsverluste um rund 1.7 Mio kWh reduziert werden, was dem Jahresverbrauch von rund 300 Einfamilienhäusern entsprach.
450 Seiten Schaltprogramme
«An den eigentlichen Umschaltarbeiten sind ca. 20 Mitarbeiter während vier Wochen intensiv beschäftigt», wurde in der SAK Hus Zitig 3/95 berichtet. Intensiv waren auch die Vorbereitungsarbeiten: «Dabei müssen zum Beispiel alle Kabel ersetzt werden, welche für die erhöhten Spannungen nicht geeignet sind, in den Transformatoren- und Messstationen sind die nicht 20-kV-tauglichen Apparate auszuwechseln und an den Freileitungen müssen teilweise Isolatoren und Schalter ersetzt werden.» Bereits 1970 hatte man vorausschauend die Weichen für eine spätere Umschaltung gestellt und beschlossen, dass sämtliches Hochspannungsmaterial wie Freileitungen, Kabel, Schalter usw. der normierten Spannungsreihe 24kV zu genügen habe und nur noch umschaltbare Netztransformatoren und Spannungswandler zu beschaffen seien.
Dreissig Schaltprogramme mit einem Umfang von total 450 Seiten bildeten die Grundlage für alle 1995 auszuführenden Schaltarbeiten. In den erwähnten Versorgungsgebieten von Herisau bis Flawil waren zahlreiche Anlagen und Anlageteile von der Umschaltung tangiert: 5 Unterwerke, 13 Unterwerksabgänge, 144 SAK Stationen (Betonmasten, Kabelstationen, Schalthäuser), 158 SAK Transformatoren (ohne Unterwerke), 4 Wiederverkäufer, rund 40 Wiederverkäufer-Trafostationen, 39 Industrieabonnenten, 45 Messstellen von Industrieabonnenten und Wiederverkäufern, rund 12'000 SAK Detailabonnenten und 125 km Leitungen. Die Kundinnen und Kunden merkten von all dem wenig, sie waren lediglich durch eine Stromabschaltung von ein bis zwei Stunden betroffen. Wesentlich dazu beigetragen hatte der überdurchschnittliche Einsatz der Mitarbeitenden. So hiess es zum Beispiel zur Spannungsumstellung von 1998 im Toggenburg: «Die Mitarbeiter der SAK leisteten während dieser Zeit einen Grosseinsatz, wurde doch auch Samstag und Sonntag sowie am Nationalfeiertag gearbeitet.» 1998 waren umsatzmässig 82,% des SAK Netzes auf die höhere Spannung umgestellt.
Heikle und anspruchsvolle Aktion
Nach weiteren Etappen fand das Jahrhundertprojekt am 3. August 2002 mit der Umschaltung im Raum Sargans/Bad Ragaz plangemäss seinen Abschluss. Beim Spannungsumbau waren nicht nur die Netze der SAK, sondern auch die Verteilanlagen der von der SAK versorgten örtlichen Energieversorgungsunternehmen (EVU) sowie die Anlagen der Industriekunden umgestellt worden, wobei man um den Finanzierungsschlüssel zäh gerungen hatte. Aus der Verminderung der Übertragungsverluste resultierten insgesamt Einsparungen von etwa 1,8 Mio. Franken pro Jahr. An Investitionskosten hatte man 1982 eine Grössenordnung von 50 bis 70 Mio. Franken prognostiziert, was sich im nachhinein als realistisch erwies.
«Spannungsumbauten gehören zu den heikelsten und anspruchsvollsten Aktionen im Bereich der Elektrizitätsversorgung», wurde im Verwaltungsrat 2002 festgestellt. «Durch die Verdoppelung der Spannung verfügen wir für die Zukunft über ein leistungsfähiges Verteilnetz mit einem hohen Versorgungsgrad und einer guten Netzqualität.» Ein wirtschaftliches Verteilnetz, hiess es im Geschäftsbericht 1999/2000, schaffe «gerade im Hinblick auf die Öffnung des Elektrizitätsmarktes eine gute Ausgangsposition».
Ernst Longatti
«Dinge, die Gott verboten hat» und Trafostationen von A bis Z
Ernst Longatti war Betriebs-, dann Platz- und schliesslich Stationsmonteur. Er baute Trafostationen und half mit, die Ostschweizer Stromversorgung zuverlässiger zu machen. Dabei agierte er manchmal frecher als in den Vorschriften vorgesehen.
Ernst Longatti
«Als Betriebs-, Platz- und später Stationsmonteur bearbeitete ich ein Gebiet, zu dem Uznach und Amden ebenso gehörte wie Sargans, das Toggenburg und das Appenzellerland. Wir waren praktisch jeden Tag auf der Strasse, in einer Zeit, in der die Landwirtschaft vermehrt Elektromotoren anschaffte. Auch Elektroheizungen und Wärmepumpen kamen in Mode. Als beispielsweise die Schaukäserei Stein ihren Betrieb aufnahm, durften Bauern keine Milch mehr abliefern von Kühen, die mit Silage gefüttert worden waren, also mit durch Milchsäuregärung konserviertem Futter. Man schaffte Heugebläse und Heubelüftungen am Laufmeter an. Die Gemeinden mussten die Stromversorgung ausbauen, denn wenn das Wetter im Sommer gut war, brachten alle Bauern gleichzeitig das Heu ein, was das Netz übermässig belastete. Das machte neue Trafostationen unumgänglich und immer wieder mal neue Unterwerke.
Bei all der Arbeit mit Elektrizität als Platzmonteur blieben leider Unfälle nicht aus. Früher tat ich auch alles, ‹was Gott verboten hatte›. Einmal stand ich ganz oben auf einer Leiter, das Wetter war schön und ich hatte die Hemdsärmel zurückgerollt, als ich einen Schlag bekam und von der Leiter ins Sicherungsseil stürzte. Das hätte schlimm ausgehen können. Ich kassierte zurecht einen Verweis. Eine ganze Weile waren die Eindrücke vom Unfall sehr präsent, mit der Zeit aber tat man wieder Dinge, die doch verboten waren. Heute, und das ist gut so, sind die Sicherheitsvorschriften sehr viel strenger, man bereitet sich besser auf eine Arbeit vor und die SAK gibt klare Weisungen heraus darüber, was ein Monteur darf und was nicht. Dadurch hat man heute nahezu absolute Sicherheit. Wer heute eine Trafostation betritt, kann mehr oder weniger alles anfassen. Das hätte ich vor 40 Jahren niemandem geraten. Aber eben: Wenn man Routine entwickelt, wird man frech. Wir wollten damals möglichst ohne Stromunterbruch arbeiten, weil wir uns sagten, man könne das den Abonnentinnen und Abonnenten nicht zumuten, besonders zu gewissen Zeiten: Am Freitagnachmittag beispielsweise gab es schnell Reklamationen. Es hiess, man müsse jetzt staubsaugen. So arbeiteten wir ab und zu doch unter Strom. Es waren wirklich andere Zeiten.
In meinen 26 Jahren Trafostationenbau errichteten wir insgesamt wohl rund 300 Stationen. Freiluftstationen bauten wir in drei Tagen, für ein Trafohäuschen benötigten wir zwei bis drei Wochen. Unsere Kollegen im Kraftwerk Kubel stellten das Rohgerüst her, das wir für eine Trafostation benötigten, und wir montierten das Ganze vor Ort. Wir benötigen noch viel Raum für die Installation – heute montiert man ähnlich leistungsstarke Anlagen auf halb so viel Platz. Am schönsten gelegen waren wohl Trafostationen in Amden, über dem Walensee. Besonders zufrieden waren wir, wenn wir grössere Trafostationen von A bis Z eingerichtet hatten, beispielsweise solche mit sechs oder acht Feldern, in denen wir Funktionen einbauten wie Lasttrenner, Leistungsschalter, Sicherungen oder Hochspannungsmessungen.
Über lange Jahre arbeitete ich mit demselben Kollegen zusammen. Er war ein ganz besonders guter Mann und wir haben uns bestens ergänzt: Ich war etwas sportlicher und agiler, er war Chüngelizüchter und etwas ruhiger. Er hatte Schmid gelernt und nach einem Unfall litt er an Rückenproblemen, darum kam er in den Trafostationenbau. Wenn es um die Konstruktion neuer Stationen ging, war er unschlagbar, ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Er zeichnete saubere Pläne und schickte sie ins Kraftwerk Kubel zur Produktion. Er entlastete mich dadurch sehr und auch als Mensch, er war etwas älter als ich, schätzte ich ihn. Mit ganz wenigen Ausnahmen waren wir gleicher Meinung und wenn nicht, diskutierten wir die Differenzen aus. Das war eine gute Zeit.»
Ernst Longatti war von 1961 bis 1996 bei der SAK tätig, zuletzt als Chefmonteur Stationenbau aktiv.
Zahlen und Fakten
285
2’325 km2
400’000
2’388 Mio. kWh
7 Kraftwerke
39 Unterwerke
874 Trafostationen
ca. 3’800 km Stromnetz